Vier-Augen-Lesung auf der Straße

Mit ihrer ,,Poesie-Tankstelle“ wagte die Dresdner Schriftstellerin Uta Hauthal ein ungewöhnliches Experiment

Von Tomas Gärtner

Schmale Bändchen, winzige Auflagen, kleinstes Publikum. Warum nur begnügt sich Lyrik mit dieser Randexistenz? Das hat sich Uta Hauthal immer wieder gefragt. Liegt es an der Art der Präsentation? Wenn sich in einschlägigen Häusern immer wieder nur diese geschlossenen Zirkel treffen? Vielleicht lassen sich Gedichte noch auf ganz andere Weise unter die Leute bringen, nicht nur unter jene, die sich von vorn herein dafür auserwählt halten und von selbst kommen, dachte sich die 50-jährige Dresdner Schriftstellerin, Sängerin und Moderato-rin, die vor zwei Jahren ihre Anstellung als Lehrerin an einer Berufsschule aufgab.Sie hat diese Frage auf die einzig mögliche Weise zu beantworten versucht: im Experiment. Hat sich zum Sommeranfang ihr Fahrrad geschnappt, in die Packtaschen ihre ,,13 Verschenk-ten Lieder“ gesteckt, diese selbst geschriebenen und vertonten, die sie Künstlerkollegen und Freunden widmete; dazu weitere 13 Dichter, die ihr nahe sind, unter ihnen Erich Kästners ,,13 Monate“. Mit dieser Zahl, von Abergläubischen gemieden, verbindet sie glückli-che Zufälle. ,,Poesie-Tankstelle“ hat sie mit schwungvoller Schrift auf ein Sperrholzbrett geschrieben, das sie ans Rad heftete.Von der Dresdner Neustadt aus, wo sie lebt, radelte sie nach Radebeul-Altkötzschenbroda. Dort traf sie erst mal niemanden. An der nächsten Station, dem Theaterplatz in Meißen, hat sie sich hingestellt, vor sich auf dem Pflaster ihr ,,Klingelkistchen“. Hat dann aber gemerkt: Rezitieren ohne Mikrofon ist im Freien zu leise. Gedichte sind eben keine Straßenmusik. ,,Also habe ich Leute angesprochen, gefragt, ob sie Lust auf ein Gedicht hätten.“ Ein wandernder Schreiner-Geselle war bereit und bekam Kästners gesamten 13-Monate-Zyklus geboten.Eine grundlegend ungewöhnliche Konstellation: Lesung in der Öffentlichkeit unter vier Augen. Ein kleines Ereignis zwischen zwei Menschen. Doch womöglich ist dies die eigentliche, weil intensivste Konstellation für Lyrik. Sie sagt dem Zuhörenden: Du, nur du bist gemeint. Als Ansprache an eine Menge kommen Gedichte ganz anders an. Kann sein, dass sie eher dies brauchen: die Intimität von Briefen.Immerhin wendeten zwei Frauen vor einem Cafe neugierig die Köpfe nach dieser Szene. Eine andere Frau sah sich an einen Aufenthalt im iranischen Isfahan erinnert, wo junge Männer auf der Straße Gedichte rezitierten. ,,Was für ein Volk!“,habe sie damals gedacht. Ähnliches nun im eigenen Land zu erleben – sie konnte es kaum fassen.Andere indes, viele sogar, erinnert sich Uta Hauthal, seien vorübergegangen, irritiert lächelnd im besten Fall, rasch den Kopf schüttelnd: ,,Keine Zeit!“ Frustriert hat sie das nicht. Wie hätte sie denn selbst reagiert auf so ein gänzlich ungewohntes Angebot? Freudig? Na also. Um so wertvoller wurde ihr jeder, den sie mitten aus dem Schwung seines Alltagsgangs heraus zum Einhalten und Zuhören bewegen konnte. ,,So lange habe ich kein Gedicht gelesen“, sagten ihrmanche. Und dass sie das nun nachholen wollten. Uta Hauthal: ,,Sollte ich in den Leuten was geweckt haben, wäre mir gelungen, was ich vorhatte.“ Der Route des Jakobsweges folgend, hat Uta Hauthal auch in der Pilgerherberge an der Justizvollzugsanstalt (JVA) Zeithain Station gemacht. Lange hat sie da mit einem Mann im offenen Vollzug geredet. ,,Für den sind Bücher etwas Existenzielles, wie Brot.“ In Wurzen entdeckte sie das Geburtshaus von Joachim Ringelnatz (1883-1934), das im Mai 2016 ein Verein übernommen hat, um es zur literarischen Stätte für Gedenken, Begegnung und Forschung zu erwecken. Mit Leiterin Viola Hess hat sie für den Herbst vier Auftritte vereinbart.In Leipzig traf sie Daniel AvRutick, der aus den USA stammt, seit 14 Jahren auf der Straße Pic-coloflöte spielt und mit Bällen jongliert. Der habe ihr erzählt, dass es nicht auf Perfektion an-komme, sondern auf die Beziehung, die man für einige Momente aufbauen könne.Die Tour nach Chemnitz will Uta Hauthal noch mal angehen. Beim ersten Versuch hat sie’s über die vielen Berge nur bis Freiberg geschafft. Für Poesie hat danach die Puste nicht mehr gereicht. Auch eine Tour in die Schweiz plant sie im Sommer, durch den Kanton Graubünden. Dort, im Bergell, einem Tal, ist eine der drei Handlungsebenen ihres neuen Romans angesie-delt, den sie 2016 abgeschlossen hat. Neben einer Dresdnerin und einer Architektin in der Gegenwart, einem Lehrer in der Nazizeit und nach dem Zweiten Weltkrieg geht es auch um die Schriftstellerin Johanna Garbald, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts unter dem Pseudonym Silvia Andrea Romane und Erzählungen veröffentlichte. Sie taucht im Titel des Romans auf, der im Radebeuler Notschriften-Verlag erscheint: ,, Garbald in Dresden“ .Etliche Fäden zwischen der Elbestadt und der Schweiz hat Uta Hauthal bei den Recherchen entdeckt. Die Buchpremiere in Dresden hat sie für den 16. März in der Villa Augustin geplant.Und die Erfahrungen, wie sie mit ihrer ,,Poesie-Tankstelle“ versucht hat, aus diesen geschlos-senen Blasen auszubrechen, in denen Autoren und Leser hocken, will sie in einem Essay schildern.Donnerstag, 16.3.17, 19.30 Uhr, Villa Augustin,Buchpremiere ,,Garbald in Dresden“ von Uta Hauthal gemeinsam mit Tania Dückers

Quelle: Dresdner Neueste Nachrichten, 13.03.2017